OETTINGERS bullige Bullis

Von 75 PS (1971) bis 180 PS (1989): die „Magic Busses“ der frühen Jahre 

Im Hochsommer des Jahres 1964 nahmen fünf Rallye-Käfer, denen die legendären Okrasa-„TSV“-Zweivergaseranlagen im Heck ordentlich Dampf machten, wurden, an der Rallye Spa-Sofia-Lüttich teil. Ohne Pause ging es bis zum Klassensieg 90 Stunden lang über zum großen Teil unbefestigte Straßen – eine enorme Anforderung an Fahrer und Material. Als Servicewagen diente auf der 6.600 km langen Strecke ein VW-Campingbus T 1, nach Art des Hauses natürlich frisch frisiert. Genaueres geben die Oettinger-Analen über dieses Begleitfahrzeug leider nicht her. Eigentlich schade, handelt es sich doch nicht mehr und nicht weniger als den Urahn aller folgenden leistungsgesteigerten „Magic Busses“ aus Friedrichsdorf bis zum heutigen Tage. Seither jedenfalls gehören alle Busvarianten zum Oettinger-Tuningprogramm. 

1971 jedenfalls verfügte der Oettinger VW Bus T 2 bereits über gesicherte 1,9 Liter und 75 PS und drei Jahre später über einen 2,3 Liter-Boxermotor mit 90 PS. Zum Vergleich: der stärkste Serien-Bulli wurde zur gleichen Zeit von einem 1,8-Liter-Motor mit 68 PS angetrieben. Die Hubraumvergrößerung wurde – so war es seinerzeit bei Oettinger kongenialer Brauch - durch die berühmt gewordene spezielle Kurbelwelle mit angeschmiedeten Gegengewichten (Eigenentwicklung) in Verbindung mit größeren Kolben möglich. Ein bulliges Drehmoment und Kraft von unten heraus zeichnete den Oettinger-Bulli aus. Wegen des unveränderten Fahrwerks wurde allerdings die Top-Speed auf 135 km/h begrenzt. „auto, motor und sport“ vermutete in Heft 18/1974 die Interessenten für die seinerzeit wieselflinken VW-Busse noch am ehesten im Kreis der Camper. Doch auch der Unternehmer Philipp Rosenthal gehörte zu den Oettinger-Kunden. 

Der Oettinger „GTI-Bus“ – ein erster Klassiker

Zum ersten echten Bulli-Klassiker des Hauses geriet im Jahre 1982 der VW Bus T 3 Caravelle-Oettinger mit dem Motor des Golf GTI 2000 E. Die 136 PS konnte er allerdings nicht ganz übernehmen, weil ein neuer Ansaug- und Auspufftrakt verbaut werden musste. (Als Ausgang für den Umbau diente übrigens der VW Bus Diesel, der seit 1981 bereits wassergekühlt war). Doch auch mit 125 PS beschleunigte der „GTI-Bus“ noch in beeindruckenden 13,9 Sek auf 100 km/h. Allerdings bemängelten die Autotester den Geräuschpegel bei hohen Geschwindigkeiten. „Ab 4000/min steigt jedoch nicht allein die Leistung, sondern auch die Lärmentwicklung deutlich an.“ („auto, motor und sport, 24/1982). Doch waren die Bulli-Motoren ja auch mehr für eine beeindruckende Kraftentfaltung aus niedrigen Drehzahlen heraus gedacht... 

Ab Herbst 1982 hatten die VW-Busse statt luftgekühlter generell wassergekühlte Boxermotoren mit 1,9 Litern und 78 PS. Oettinger reagierte sofort und bot ein getuntes Vergaser-Aggregat mit 95 PS an. In einer zweiten Stufe vergrößerte er zunächst den Hubraum um 200 ccm, erhöhte die Verdichtung (9,8:1 statt 8,6:1) und bearbeitete Zylinderkopf und Ansaugkrümmer. Nun leistete der Motor (interne Bezeichnung: wbx 4 2100 E) 105 PS. Wieder beeindruckten Elastizität und „schaltfaule Fahrweise“ („auto, motor und sport“, 01/1984). Der VW Bus Caravelle-Oettinger beschleunigte in 15,7 Sek von Null auf 100 km/h , also 6,2 Sek schneller als der Serienbus und nahm der Serienausführung auch in der Spitze (156 km/h) glatt 20 Kilometer ab. Bald darauf hatte VW einen 1,9-Liter-Einspritzmotor mit 90 PS im Programm, dessen Hubraum und Leistung Oettinger wiederum steigerte: 2,3 Liter, 120 PS. 

Die legendären Sechszylinder in den VW Bussen kamen von Oettinger 

Einen besonders hochkarätigen Motor lieferte Gerhard Oettinger 1985 ab. Volkswagen trug sich lange mit dem Gedanken, einen eigenen Sechszylinder-Wasserboxermotor für den VW-Bus bis zur Serienreife zu entwickeln. Allein, die zu zu erwartenden geringen Stückzahlen ließen das Projekt aus der Perspektive des Großkonzerns wenig lukrativ erscheinen. Auf halber Strecke wurde es deshalb abgebrochen und 1984 dem Tuning-Altmeister übergeben. Mit Oettinger bestand eine enge Zusammenarbeit in Sachen Entwicklung und Herstellung von Sondermodellen. Der hessische PS-Zauberer sollte das Werk nach Art des Hauses vollenden... 

Er übernahm aus Wolfsburg die Konstruktionsunterlagen und die Produktionseinrichtungen, überarbeitete die Gussformen für beide Leichtmetall-Motorblockhälften, griff wiederum zu seiner Wunderwaffe, der Kurbelwelle aus Chrom-Molybdänstahl und tauschte schließlich den Ansaugkrümmer aus. Das stolze Ergebnis: Der „wbx6“-Motor leistete 165 PS bei 3.164 ccm und hatte ein maximales Drehmoment von 260 Nm bei 3.800/min. Auf der IAA 1985 feierte der VW Bus Oettinger wbx6 eine gebührende Premiere. Nur für dieses Auto entwickelte Oettinger auch eine Vierscheiben-Bremsanlage. 

„Schneller als eine Mittelklasse-Limousine“

„Gaspedalbewegungen beantwortet die in jedem Drehzahlbereich leise und frei von Vibrationen laufende Maschine in einem vom VW-Bus bisher unbekannten Vorwärtsdrang,“ zollte die „auto motor und sport“ in Heft 21/1986 hohen Respekt vor der Ingenieurskunst des Diplom-Ingenieurs Gerhard Oettinger. Und fuhr fort: “Wenn Mittelklasse-Limousinen vom Schlage eines VW Passat oder Opel Ascona ihre Höchstgeschwindigkeit erreicht haben, zieht der Kraft-Bus scheinbar mühelos vorbei. Erst bei 178 km/h setzen Fahr- und Luftwiderstand dem Vorwärtsstreben ein Ende.“ 

Der Ausnahme-VW Bus wbx6 war als Caravelle Carat allerdings auch nicht zum Schnäppchenpreis zu haben. 32.940 DM standen allein für Motor und Automatikgetriebe, straffes Fahrwerk, einen üppigen Radsatz und den größeren Tank zu Buche. Das Planziel – 500 Auslieferungen – wurde innerhalb der beiden folgenden Jahre erreicht. 

Das lag auch an den verschiedenen Versionen, die noch folgen sollten: ein 3,2 Liter-Normalbenzinmotor mit Schaltgetriebe und ein 3,2 Liter-Superbenzinmotor mit Automatik (auch für die allradgetriebene Syncro-Variante). Außerdem verschrieb Oettinger seinem wbx6-Aggregat bald schon wieder eine hauseigene Kraftkur. Nun leistete der auf der IAA 1987 vorgestellte 3,7 Liter-Oettinger-Sechszylinder-Wasserboxermotor im VW Bus wbx6 bereits 180 PS, hatte ein verstärktes Automatikgetriebe, einen geregeltem Dreiwegekatalysator und war ausgelegt für bleifreies Superbenzin. Weitere Highlights dieses Superbusses: eine Digijet-Einspritzanlage mit Leerlauf-Füllungsregelung und Schubabschaltung und eine Auspuffanlage mit Edelstahl-Fächerkrümmer. Hinzu kamen die Oettinger-Vierscheibenbremse (vorn innenbelüftet), ein Sportfahrwerk und ein 85-Liter-Benzintank. Der heckangetriebene VW Bus Oettinger wbx6 war einer der schnellsten Transporter seiner Zeit (182 km/h Spitze). Die Zeitschrift „Gute Fahrt“ (Heft 08/89) testete einen dieser Oettinger Caravelle GL T 3700 E/6 Kat. „Dass 180 PS in Verbindung mit 3,7 Litern Hubraum selbst den schweren Bus zu sehr guten Fahrleistungen beflügeln müssen, setzt man eigentlich voraus. Doch die Realität ist schlichtweg begeisternd.“ Der Fortschritt läge im wesentlich verbesserten Durchzug von unten heraus. „Die Fahrleistungen sorgen für Verblüffung auf der Straße die Laufruhe ist ähnlich der gediegener Limousinen.“ 

Oettinger machte auch Diesel-Bullis schnell

Der Verbrauch dieses absoluten Luxusgefährtes lag bei immerhin 17,7 Litern auf 100 Kilometern. Doch Oettinger konnte auch anders. Denn grundsätzlich erfüllt ein VW-Bus ja zunächst die Aufgabe eines Transporters. Und wenn er dann auch noch besonders sparsam sein sollte, wählten die Kunden jener Zeit gern den 1,6 Liter Turbodiesel mit 70 PS. Damit konnten sie allerdings keine Bäume ausreißen. Der VW Bus Oettinger 1600 TD schuf da alsbald Abhilfe. Ein Ladeluftkühler, ein erhöhter maximaler Ladedruck (von 0,7 bar auf 0,8 bar) und eine veränderte Einspritzpumpe – und schon waren 90 PS realisiert. „Der Oettinger-Turbodiesel vermittelt nun jederzeit das Gefühl, gut motorisiert zu sein,“ vermerkte „auto, motor und sport!“ (Heft 12/1988). Und dann erst der Verbrauch: 10,4 Liter Diesel im Test galten als „erfreulich niedrig“.Fünf Jahre später hatte der nun frontangetriebene Serienbus T 4 zwar schon einen 2,4 Liter Dieselmotor, aber 78 PS reichten vor allem den von Haus aus schweren Campingmobilen kaum. Der Oettinger-Caravelle GL 2,4 TD hatte einen Garret-Abgasturbolader mit 95 PS und ein um mehr als 30 Prozent gestiegenes Drehmoment (215 Nm statt 165 Nm). Die „Gute Fahrt“ konstatierte: „Damit avanciert Oettinger Dieselbus zu einem flotten und dennoch sparsamen Raumwunder, welches man im VW-Programm bisher vergeblich suchte“ (Heft 05/1992). 

Luxus-Doppelkabine für 120.000 DM

Für unvergessliche Bulli-Begegnungen sorgte Oettinger bereits neun Jahre zuvor auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt. Da präsentierte der Edeltuner einen lasziven Luxusschlitten im Körper einer unerotischen Bauarbeiter-Doppelkabine. Die Anregung zu diesem launigen Show-Projekt kam von der Redaktion der Zeitschrift „sport auto“. Ausgestattet war der Nobellaster mit vier Schalensitzen auf drehbaren Konsolen, Porsche-Armaturen, feinstem Leder, 20 Blaupunkt-Lautsprechern, einem Kühlschrank zwischen den hinteren Sitzen und einer sündhaft teuren und hippen Sonderlackierung. Das Oettinger-Zweiliter-Vierventilaggregat mit 150 PS, das im Golf normalerweise quer eingebaut wurde, saß nun längs zur Mittelachse und glänzte mit einem handgefertigten Sportauspuff. Besonderer Clou: ein fest montierter Kran mit elektrischer Seilwinde konnte eine noble Harley lautlos auf die Pritsche hieven. Unbeladen gewährte eine in die Ladefläche eingelassene Glasplatte einen ehrfurchtsvollen Blick auf den Motor und das Gewinde schwarzer Auspuffrohre. Wert der ehedem weinroten Doppelkabine nach der mehrwöchigen Mutation: stolze 120.000 DM! Auf der IAA 1983 jedenfalls kamen die Besucher aus dem Staunen nicht heraus...