Oettinger - zu Lande, zu Wasser und in der Luft

Der älteste VW-Tuner der Republik unternahm auch Ausflüge zu anderen, teilweise exotischen Herstellern - sogar von Rennbooten und Hubschraubern

1954, acht Jahre nach Gründung seines Ingenieurbüros, entwickelte der Diplomingenieur Gerhard Oettinger für einen Auftraggeber auf Basis eines Jaguar-Sechszylinder-Reihenmotors ein Aggregat für Rennboote, das den Leistungsprüfstand fast zum Bersten brachte. Das Problem: Schiffsschrauben drehen in die entgegengesetzte Richtung wie Automotoren. Es musste also ein Wendegetriebe eingesetzt und eine Welle zwischengeschaltet werden. Die aber entwickelte Eigenschwingungen und verbog sich bei Vollast. Also beantragte Oettinger direkt Testfahrten auf dem Main. Der Motor erfüllte anschließend im Siegerboot bei Rennen in Italien alle Erwartungen.... 

1969 verlieh Oettinger einem kalifornisches Luftkissenboot, das in einem in Afrika spielenden Abenteuerstreifen für Furore sorgte, mit der notwendigen Okrasa-Power geradezu Flügel. Die technische Hovercraft-Filmattraktion zog in der Weihnachtszeit in der Frankfurter Oettinger-Filiale als Ausstellungsstück die Massen an. In den 70er Jahren wurde außerdem der “Skorpion”, ein zweisitziger amerikanischer Kleinhubschrauber, mit einem von Oettinger entwickelten Triebwerk ausgestattet. 

Von Enzmann bis Puma

1957 feierte der ultraleichte Enzmann 506 aus der Schweiz auf der Internationalen Automobilaustellung in Frankfurt seine Weltpremiere. Doch der auf Basis eines VW 1200 Export entwickelte Sportwagen mit Kunststoffkarosserie war vielen Interessenten zu langsam. Eine Okrasa-Anlage schaffte da schnelle Abhilfe. 

Anfang der 60er Jahre belieferte Oettinger einen australischen Hersteller von Kunststoffkarosserien mit Fahrwerken und Okrasa-Aggregaten für einen raren Sportwagen, den Ascort TSV 1300 GT. 

1975 baute Oettinger einen Motor für den zweisitzigen brasilianischen Sportwagen „Puma“, mit dem die europäischen Abgas- und Geräuschvorschriften eingehalten wurden. 64 PS leistete das Einvergaser-Aggregat. 

Die überfällige Kraftkur für den Porsche 924

1977 verhalf Oettinger dem durchzugsschwachen Porsche 924 zu angemessenem Dampf von unten heraus. Den Hubraum des braven, mit dem Audi 100 verwandten 2- Liter-Motors vergrößerte er um 300 ccm. Statt des Serien-Hubs von 84,4 mm erreichte das kunstvoll modifizierte Aggregat dank einer neuen Kurbelwelle nun 92,4 mm. Ölkühler, höhere Verdichtung und größere Ein-und Auslassventile zählten zur weiteren Potenztherapie und verhalfen dem Motor nicht nur zu 145 PS (Serie: 125 PS), sondern vor allem zu ansehnlichem Vortrieb, wie ihn viele Porschefahrer gern schon in der Serie gehabt hätten. In der Beschleunigung von 60 km/h - 140 km/h ließ der Porsche 924 Oettinger 2200 E Turbo das Original regelrecht stehen – 14,5 Sekunden gegenüber 28,3 Sekunden...! Die „Autozeitung“ urteilte in Heft18/1978: „Das geflügelte Wort 'Hubraum ist durch nichts zu ersetzen, es sei denn durch noch mehr Hubraum' findet wieder einmal Bestätigung.“ In der Folge verordnete das PS-Genie aus Friedrichsdorf auch dem 1979 erschienenen Porsche 924 Turbo eine adäquate Leistungskur von 170 PS auf 185 PS. 

… und sogar der Volvo 343 erhielt Oettingers Fahrspaß-Gene

1979 kam das Sondermodell Volvo 343 Oettinger auf die Straße. Die Mittelklasselimousine war noch ein Relikt aus DAF-Zeiten. Volvo Deutschland war weder mit ihrem biederen Image noch mit ihrer Leistung (70 PS bei 1,7 Litern) zufrieden. Um die Marktchancen hierzulande zu erhöhen, sollten die hessischen Tuner eine sportliche Version entwickeln. Auch bei diesem (Renault)-Motor vollbrachte die Oettinger-Kurbelwelle aus unverwüstlichem Chrommolybdänstahl mit angeschmiedeten Gegengewichten und längerem Hub (88 mm statt 77 mm) wahre Wunder. Zusammen mit einem Weber 32 DIR 83 Registervergaser brachte es der Motor auf 90 PS. Der getunte Volvo rannte 170 km/h (statt 148 km/h). Außerdem zog er Oettinger-typisch enorm von unten heraus und beschleunigte in 12,8 Sekunden auf 100 km/h (Serie: 14,9 Sekunden). Und auch optisch wurde der Volvo 343 Oettinger aufgebrezelt. Front- und Heckspoiler, Sebring-Sportauspuffanlage, Oettinger Lenkrad und Dekorstreifen machten ihn für die Fans der Marke zu einer Attraktion.