Jubiläum: 2015 ist Oettinger seit 40 Jahren Golftuner!

Die „PS-Zauberer“ aus Friedrichsdorf und die aufregenden Golf 1-Jahre. 

Der VW Golf feierte 2014 einen runden Geburtstag. Am 29. März wurde er 40 Jahre alt. Ein Jahr danach ist nun der älteste VW-Tuner Oettinger mit seinem Jubiläum dran. Denn 1975 kamen die ersten leistungsoptimierten Oettinger Golf auf den Markt. Zunächst mit 85 PS und noch im selben Jahr auch mit 100 PS. Doch der Reihe nach: 

„Der neue Volkssport: Golf“

Recht keck war 1974 diese Anzeige aus der Kampagne zur Markteinführung der neuen Kompaktlimousine aus Wolfsburg übertitelt. Sie kündigte einen wahrhaft revolutionären Generationswechsel an. Am 01. Juli und nach fast 12 Millionen Exemplaren lief der letzte VW Käfer vom Wolfsburger Band, bereits am 29. März desselben Jahres begann die Serienproduktion des späteren Lieblings der Nation, des VW Golf mit 1,3- und 1,5-Liter- Motoren und 50 und 70 PS. 

Der markante Werbeslogan rief reflexartig Gerhard Oettinger auf den Plan. Der weltweit älteste und renommierteste VW-Tuner, der seit der Nachkriegszeit seinem Geschäft „mit der Gründlichkeit eines werdenden Nobelpreisträgers“ („auto, motor und sport“) nachging, toppte bereits 1975 die Golf-Serienaggregate mit 85 PS. Den gleichzeitig eingeführten 1,6-Liter VW-Vergasermotor (75 PS) steigerte er mit der ihm eigenen Virtuosität auf 100 PS, und zwar so: 

Mit den entliehenen Flachdachkolben des Audi 80 GT-Aggregats erhöhte das Tuner-Genie die Verdichtung von 8,2:1 auf 9,6:1. Die serienmäßigen Einlassventile (34 mm Durchmesser) wichen drei Millimeter größeren. Und die Wände der Ansaugkanäle wurden geglättet. Das ergab in der Summe immerhin 33 Prozent mehr Leistung – und schon beschleunigte der sportliche Oettinger-Golf in 9,4 Sek von Null auf 100 km/h. Damit war er 1,7 Sek schneller als das Original ab Werk, das in der Endgeschwindigkeit auch noch 15 km/h langsamer war als der getunte Golf aus Friedrichsdorf (177,3 km/h). „Seinen Serienbrüdern gibt der frisierte Golf klar das Nachsehen, und er braucht sich auch nicht vor sportlich stärkeren Konkurrenten zu verstecken,“ resümierte die „auto, motor und sport“ in einem Test im Juni 1976. 

Was Gerhard Oettinger unter einem sportlichen Golf verstand

Der gleiche Ablauf wiederholte sich auch 1976. Die Oettinger-Version hatte auf dem Papier mit 125 PS zwar nur 15 PS mehr zu bieten als der neue Golf GTI. Doch bis zu einer Geschwindigkeit von 160 km/h (24,2 Sek) beschleunigte sie damit genauso schnell wie ein BMW 528! Dank der von Diplomingenieur Oettinger entwickelten Kurbelwelle aus Chrom-Molybdänstahl mit längerem Hub (90,5 mm)gegenüber 80 mm des Serienpendants) waren 1.800 ccm statt 1.600 ccm Hubraum möglich. In Verbindung mit weiteren Tuning-Maßnahmen (größere Ein- und Auslassventile und bearbeitete Ansaugkanäle) ergab sich eine enorme Elastizität. Der VW Golf GTI Oettinger nahm dem Serienpendant bei der Beschleunigung von 40 km/h auf 100 km/h ganze 5,2 Sek ab. Mit den gemessenen 13,4 Sek kam da selbst ein 195 PS- starker BMW 3,0 Si nicht mehr mit (15 Sek)! „In der sport-auto-Mannschaft“, so war in Ausgabe 12/1976 zu lesen, „herrscht denn auch seltene Einmütigkeit. Oettingers Prachtstück gebührt zweifellos der Ehrentitel 'Bester Vierzylinder der Welt'“. 

Wer zügiges Golffahren liebte und auf eine Automatik nicht verzichten wollte, für den gab es damals rein gar nichts. Nur ein Golf GLS mit 1,5 Liter-Motor und 70 PS stand im Schaufenster, mehr war mit VW nicht zu machen. Oettinger schaffte auch hier Abhilfe und vergrößerte zunächst den Hubraum auf 1.800 ccm. Dazu diente wieder seine “Geheimwaffe“, die berühmte Kurbelwelle mit angeschmiedeten Gegengewichten. Spezielle Kolben erhöhten die Verdichtung von 8,2:1 auf 9,7:1. Modifizierte Zylinderköpfe, Ansaugkanäle und ein Solex-Registervergaser Typ 2 B 2 gehörten zu den weiteren filigranen Tuning-Maßnahmen, die zu einer Leistungssteigerung auf 110 PS und einer Beschleunigung von Null auf 100 km/h in 10,4 Sek (Serie: 14,7 Sek) führten. Mit einer Spitzengeschwindigkeit von 176,5 km/h (Serie: 156,5 km/h) war der Fahrer eines Automatik-Golf GLS Oettinger nun auch endlich schnell unterwegs. 

Auch seinen vielen Kunden in den Vereinigten Staaten bereitete Oettinger eine freudige Botschaft. Im „Rabbit“ - so wurde der Golf I in den USA genannt - brachte es der 1,6 Liter-Golf-Motor mit geregeltem Dreiwege-Katalysator nur auf schlappe 78 PS. Dank einer fulminanten Leistungskur leistete die auf 1,8-Liter vergrößerte Oettinger-Einspritz-Version optimale 110 PS. Ab 1980 machte Oettinger auch dem gerade eingeführten Golf I Diesel mit 1,6 Litern (54 PS) wieselflinke Beine. Als hubverlängerter Saugdiesel (1,8 Liter) leistete er nun 65 PS. Und mit Turbolader immerhin schon 83 PS (Serie: 70 PS). Der Turbomotor erfüllte auch umgehend die strengen amerikanischen Abgasnormen. 

Das Glaubensbekenntnis des Gerhard Oettinger 

1980 stellte der hessische Tuner der Zeitschrift „sport auto“ ein hubraum- und leistungsgesteigertes Fahrzeug zur Verfügung, das sich alsbald zum Liebling der Redaktion mausern sollte. Am Oettinger Golf GTI 2000 E (136 PS) begeisterte die Tester nicht nur der Beschleunigungswert (7,2 Sek von Null auf 100 km/h), sondern vor allem die Leistungsentfaltung: „Der Oettinger Golf 2000 E vermittelt eine Fahrgaudi, wie sie kein Serien-GTI und erst recht nicht viele andere starke Limousinen bieten können.“ Die Juniausgabe verriet ihren Lesern auch, woran das lag und zitierte wortgetreu das Glaubensbekenntnis des Diplomingenieurs Gerhard Oettinger: „Das Prinzip unseres Motorenbaus ist die kultivierte Entfaltung hoher Leistung und eines kräftigen Drehmoments, ohne die Alltagstauglichkeit einzuschränken. Die Umsetzungs-Idee ist einfach und einleuchtend: Kraft darf dem Motor nicht nur bei hohen Drehzahlen antrainiert sein, sondern muss bei angemessenem Hubraum schon untenherum kommen.“ 

Nach all diesen hochqualifizierten Motoren-Modifikationen sah der PS-Zauberer aus Friedrichsdorf seine Definition von „Golfsport“ endlich flächendeckend mit Inhalt gefüllt. Doch war das für ihn längst noch nicht das Ende der Fahnenstange. Dazu ein Rückblick: 

Vision des ältesten VW-Tuners zwischen Kiel und Kempten: ein 16-Ventil-Motor

Internationale Automobilausstellung Frankfurt 1977. Am Stand von Oettinger war ein sensationeller Prototyp zu bestaunen, der die Massen elektrisierte: das erste Großserienfahrzeug der Welt mit 16 Ventilen. Der 1,6-Liter-Motor leistete unglaubliche 136 PS. Die wahr gewordene Vision des Diplom-Ingenieurs und Vaters aller Tuner, Gerhard Oettinger! Denn der berühmte EA 827-Baukastenmotor aus dem Volkswagenkonzern setzte der Leistungssteigerung von Anfang an gewisse Grenzen. Um wirklich Weltbewegendes zu erreichen, musste ein eigener Querstrom-Zylinderkopf entwickelt werden, am besten gleich mit 16 Ventilen wie beim überlegenen Cosworth in der Formel 1, das war dem virtuosen „PS-Zauberer“ aus Friedrichsdorf schon bald nach der Golfpremiere im Jahre 1974 klar. „Durch die bessere Spülung erhalten wir beim Gasausstoß weit weniger Restgase und damit einen höheren Wirkungsgrad, die Gaswechsel selbst erfolgen besser und schneller als beim Zweiventil-Prinzip herkömmlicher Aggregate,“ diktierte Oettinger Jahre später einem Redakteur von „sport auto“ in den Notizblock. Denn die Weltneuheit sollte nach ihrer IAA-Premiere 1977 noch einmal vier Jahre lang bis zur Reife komplett überarbeitet werden. Die lange Entwicklungszeit erklärte Oettinger in „auto, motor und sport“ so: „Wir gingen zunächst von ganz anderen Kriterien aus. Erst wollten wir etwas für die Straße machen mit dem Hintergrund für den Sport. Dann haben wir es direkt für den Sport konzipiert und den Ableger für die Straße. Das ist der bessere Weg“. 

Der Golf Oettinger 1600 E/16: „Zum Fahren fast zu schade...“

Der endete nach 1,5 Millionen DM an Entwicklungskosten, mehreren 100.000 Testkilometern und 3.000 Stunden auf dem Prüfstand zunächst beim Golf Oettinger 1600 E/16: mit aufwändig konstruiertem Zylinderkopf, der mit zwei Wellen versehen war. Die Einlass-Nockenwelle hatte den Zahnriemenantrieb des Serienmotors. Die Auslasswelle wurde mittels schräg verzahnter Zahnräder von der Einlasswelle angetrieben. Die Ventile waren zur Längsachse des Motors V-förmig angeordnet und wurden über Tassenstößel betätigt. Der Kurbeltrieb war wegen der höheren Drehzahlen exakt ausgewuchtet und mit leichteren Kolben bestückt. Das Ergebnis: 136 PS statt 110 PS beim GTI „von der Stange“ und ein maximales Drehmoment von 157 Nm bei 5.500/min. Vor allem aber drehte er mit enormer Laufkultur bis zur Drehzahlbegrenzung von 7.500/min. Aus dem Stand beschleunigte der Golf Oettinger 1600 E/16 in 7,5 Sek auf 100 km/h, etwa so schnell wie ein Porsche 928! Das vom Volkswagenwerk angesetzte Tempolimit von 200 km/h für den Golf GTI reizte der 16-Ventiler mit 197,8 km/h Spitze nahezu aus. Der neue Vierventilmotor von Oettinger bestand abschließend den 60.000 km-Dauertest auf dem Prüfgelände des VW-Werks in Ehra Lessin (Landkreis Gifhorn). Oettinger nahm auch die Homologationshürde für die Gruppe 4 (400 Stück). Die Serienproduktion und der weltweite Export der sensationellen 16-Ventiler-Aggregate konnte beginnen. In Deutschland war der Golf Oettinger 1600 E/16 ein hurtiger Gast auf linken Autobahnspuren. Für den Tester der „Auto Zeitung“ war das „Meisterwerk“ sogar fast zu schade zum Fahren. Er lieferte stattdessen in Heft 24/1980 eine originelle Anregung: „Eigentlich schade, dass dieses auch optisch reizvolle Triebwerk unter einer Blechhaube verborgen ist. Aber wer weiß, vielleicht bietet Oettinger als Extra eines schönen Tages ja mal eine Acrylglashaube an...“ 

Der Golf GTI 16S – 1981 in Frankreich „le Hit“

Der Volkswagen-Audi-Gemeinschaft (V.A.G.) France war der 1980 erschienene schnelle Renault 5 Alpine Turbo ein Dorn im Auge. Sie hatten ihm nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Doch ein Jahr später gelang mit dem legendären Golf GTI 16S (mit dem neuen Oettinger-Vierventilmotor) der große Konter. In der Folgezeit wurden in Friedrichsdorf 1.600 „normale“ GTI's zu heißen Sportversionen mit BBS-Bodykit und ATS Cupfelgen (6 J x 14“) ausschließlich für den französischen Markt umgebaut. Täglich verließ ein LKW mit acht Golf GTI 16S das hessische Tuningunternehmen. Die V.A.G. France führte das Oettinger-Sondermodell wie einen Serien-VW im Programm - mit eigenen Prospekten, Ersatzteillisten oder Werkstadt-Handbüchern. Nach einem Ausbildungslehrgang konnte jeder VW-Händler der Grande Nation einen Oettinger 16S warten und reparieren... 

Der erfolgreiche Oettinger-16V-Rallye-Motor holte 215 PS aus 1,6 Litern!

1981 entwickelte Oettinger auch einen Vierventil-Rallye-Motor. Das 215 PS starke und als standfest bekannte 1,6-Liter-Aggregat trieb die Boliden vieler Privatfahrer an. So gewann noch im selben Jahr Alfons Stock aus Oberbayern im Volkswagen-Motorsport-„Rheila“-Golf mit dem Oettinger-Aggregat (Literleistung: 134 PS!) die Deutsche Rallye-Meisterschaft. Willi Rösl aus Gießen wurde mit Oettinger-16V-Technik Autocross-Europameister. Davon und von vielen anderen Siegen erfuhr der kongeniale Motoren-Magier aus Friedrichsdorf oft eher am Rande. 

Gegen Ende des Ur-Golf-Zyklus verhalf die PS-Schmiede aus Friedrichsdorf dem 1982 erschienenen, letzten Golf I GTI mit 1,8 Litern und 112 PS noch zu ungeahnter Potenz. Dank eines Vierventil-Zylinderkopfes bot der Golf GTI Oettinger 1800 E/16 mit seinen 142 PS auch hier die Fahrleistungen eines reinrassigen Sportwagens: von Null bis 100 km/h in 7,7 Sekunden, Spitze 200 km/h. 

„Hohe Schule“: der VW Golf Oettinger 2000 E/16 

Bereits im Herbst 1981 kam auch der hubraumvergrößerte Oettinger 2000 E/16, ein Golf I mit Zweiliter-Vierventilmotor, in den Handel. Die Leistung des Aggregats wurde von zunächst 150 PS auf 160 PS und in einer letzten Stufe auf 170 PS gesteigert. Dies geschah 1984 und galt bereits dem Golf II. Es sollte Oettingers aufwendigste Konstruktion in jener Zeit sein. Um die Kosten einigermaßen in Grenzen zu halten, wurden möglichst viele Teile des serienmäßigen GTI-Motors übernommen. Die Oettinger-Kurbelwelle mit größerem Hub (94,5 mm statt 86,4 mm) und aufgebohrte Zylinder (82mm statt 81 mm) schufen ein Mehr an Hubraum (200 ccm). Der geniale, hauseigene Vierventil-Querstrom-Zylinderkopf hatte größere Ein- und Auslassquerschnitte, was der Füllung der Zylinder merklich zu Gute kam. Die Ventile waren V-förmig angeordnet und wurden direkt über Tassenstößel betätigt. Spezielle Kolben und eine auf die Mehrleistung abgestimmte Bosch K-Jetronic-Einspritzanlage machten das Paket von Tuning-Maßnahmen komplett. Der VW Golf-Oettinger 2000 E/16 erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 222 km/h und beschleunigte in 7,6 Sekunden von Null auf 100 km/h. Er war fast 30 km/h (!) schneller als der Serien-GTI (193 km/h) und nahm ihm im Sprint 1,3 Sekunden ab (8,9 Sekunden). „Immer“, so die „auto, motor und sport“ in Ausgabe 14/1984, „wenn der Fahrer das Gaspedal auch nur wenig durchtritt, steht spontan genügend Kraft zur Verfügung, um nahezu jede Verkehrssituation auch bei schaltfauler Fahrweise äußerst gelassen meistern zu können.“ Der Bericht war voller Respekt so überschrieben, wie es stets Oettingers eigenem Maßstab entsprach:„Hohe Schule“...