Die Mercedes-Jahre

Oettinger und die „rassige“ Mercedes-Ära 

Der Meistertuner wurde von seinen Golf-Kunden zu den Sternen gedrängt 

1985 ging der schnelle Mercedes Benz 190 E 2.3-16 mit 185 PS ohne und 170 PS mit Dreiwegekatalysator in Serie. Doch waren damals waren etliche sportliche Autofahrer vom Charakter des Mercedes-Motors enttäuscht, verglichen sie ihn doch mit dem Oettinger Golf 16V, den sie zuvor gefahren hatten. Diplomingenieur Gerhard Oettinger hörte auf seine Fans und machte sich mit seinem Erfahrungsvorsprung ans Werk - schließlich war der erste 16-Ventilmotor für Serienfahrzeuge weltweit sein Werk, erstmals präsentiert auf der IAA 1977. 

Das Ergebnis war eine Hubraumvergrößerung des Benz-Motors auf 2,6 Liter dank spezieller Kurbelwelle mit verlängertem Hub auf 90,5 mm statt 80,25 mm, ein bearbeiteter Zylinderkopf und geschmiedete Mulden-Kolben. Nun endlich hatte der sportlichste Baby-Benz das Durchzugsvermögen, das man sich von ihm erhoffte und vom Oettinger-Golf 16V gewohnt war. In nackten Zahlen: 211 PS bei 5700/min und vor allem ein Drehmoment von 286 Nm. In einem breiten Bereich zwischen 1750/min und 6400/min lag das Drehmoment stets höher als der Spitzenwert bei der Serie. Die „auto, motor und sport“ ermittelte in Heft 19/1985 eine Beschleunigung von Null auf 100 km/h in 7,1 Sekunden, den Kilometer mit stehendem Start in 27,6 Sekunden und eine Spitzengeschwindigkeit von 238 km/h. „Für rund 66.000 DM bekommt man ein nahezu perfektes Automobil – nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass sich der Tuning-Altmeister einer sehr guten Basis bedient und seine Aufgabe gut gelöst hat.“ Die „sport auto“ schließt sich in Heft 02/1986 diesem Kompliment an: „Der 2,6 Liter mit 211 PS steht dem kleinen Daimler wesentlich besser als die serienmäßigen 2.3 Liter mit 185 PS. Die Oettinger-Kur macht den Sport-Mercedes zu einem allseits überlegenen Automobil.“ 

„Der Serie wieder mal einen Schritt voraus“

Doch das war erst der Anfang. Noch im selben Jahr wurde der 16-V-KAT-Motor des Baby-Benz mit der „Oettinger-Welle“ frisiert. 1986 präsentierte Oettinger auch den 190 E mit 2,3-Liter-Motor und 148 PS (Serie: 2,0 Liter und 118 PS). Kurz danach folgte der 2,4 Liter mit 159 PS und 220 Nm bei 3800 / min und sagenhaftem Durchzug und niedrigerem Schadstoffausstoß. So rangierte der Oettinger 190 E 2.4 in einer niedrigeren Steuerklasse. Einen weiteren Vorteil ermittelten die Tester von „auto, motor und sport“ in Ausgabe 13/1986. Im Gegensatz zum Serien-Benz konnte auf Grund der nun zur Verfügung stehenden Leistung der lang ausgelegte fünfte Gang des DB-Getriebes vollwertig genutzt werden. „Auf jeden Fall ist der Tuning-Altmeister der Serie wieder mal einen Schritt voraus – wie so oft in seinem langen Tunerleben.“ 

Mercedes Benz brachte im August 1988 mit dem 190 E 2.5-16 die zweite Generation auf den Markt. Und wieder reagierten die Friedrichsdorfer Motormagiere mit einer speziellen Kurbelwelle (94,5 mm) im Oettinger 2700/16 KAT. Der hatte nun 215 PS bei 6400 / min und ein maximales Drehmoment von 275 Nm, beschleunigte in 7 Sekunden von Null auf 100 km/h und rannte knapp 240 km/h. Der Oettinger-Vorsprung in der Motor-Charakteristik gegenüber der Serie blieb also erhalten. In den Export gingen auch Versionen ohne Katalysator mit 225 PS und einem Drehmoment von 280 Nm. 

Oettinger 300 E: Fahrverhalten wie ein Achtzylinder

1987 machte die spezielle Oettinger-Kurbelwelle mit größerem Hub auch dem Sechszylindermotor des Mercedes 300 E (W 124) richtig Beine. Weitere technische Delikatessen waren die geschmiedeten Vollschaft-Kolben, eine eigene Nockenwelle und extrem leichte Pleuel aus hochfestem Stahl. Der Motor hatte nun 3.607 ccm. Die weiteren Daten des Oettinger 300 E: 240 PS bei 355 Nm, Spitze 250 km/h. (Die Serienwerte zum Vergleich: 180 PS bei 255 Nm und 225 km/h Spitze). Fahrer, die diesen Motor genießen durften, hatten zunächst das Gefühl, einen großvolumigen Achtzylinder zu beschleunigen. Denn so viel Drehmoment kannte man von keinem Sechszylinder. Rein äußerlich konnte der geschulte Blick die Kraftkur nur an einem um 30 mm tiefer gelegten Fahrwerk und an den 15-Zoll-Felgen von Ronal erkennen. 

Oettingers „technisches Kabinettstück“

Die letzte Stufe der virtuosen Leistungs-Steigerungen von Benz-Motoren in den 80er Jahren zündete Oettinger 1989 mit dem Oettinger 3600E/24V Kat, der auf dem „etwas durchzugsschwachen“ („auto, motor und sport, 18/1990) Werks-Vierventiler basierte. Diesen Motor bezeichnete Oettinger selbst als ein technisches Kabinettstück. Schließlich konnte der PS-Zauberer bei der Optimierung auf zwei seiner Kernkompetenzen zurückgreifen: auf die Hubraumvergrößerung und die immense Erfahrung mit der Vierventiltechnologie. Die Basis dieses Aggregats war (bei 90 mm Bohrung und 94,5 mm Hub) identisch mit dem Oettinger 3600 E Kat, doch wurden Zylinderkopf und Ansaugrohre modifiziert, der Abgaskrümmer für eine noch bessere Ausatmung bearbeitet und die Verdichtung auf 10,3:1 angehoben. Das Ergebnis: 275 PS bei 6300 / min ein Drehmoment von 375 Nm bei 5200 Nm. Die Fahrleistungen (255 km/h Spitze und und eine Beschleunigung auf 100 km/h in weniger als 7 Sekunden) ließen BMW M 5-Fahrer erbleichen. Und auch die „auto, motor und sport“-Tester zeigten sich beeindruckt. In Heft 18/1990 hieß es: „In nahezu allen Drehzahlbereichen steht eine gewaltige Durchzugskraft zur Verfügung.“ Dabei erlaube die Leistungs-Charakteristik des Oettinger-Motors in der Stadt oder auf kurvenreichen Landstraßen jenes gelassene und entspannte Fahren, „das man im Serien-Mercedes gerade in solchen Situationen oftmals vermisst.“ Persönliche Fahreindrücke und Bewertungen wie diese überzeugten auch viele Prominente wie den Showmaster Frank Elstner, der ebenso als Fan der Oettinger-Mercedes galt wie etwa His Highness Prince Agha Khan.