Zum ersten Mal seit ihrem Bestehen hatte die „Autozeitung“ zwischen 1984 und 1989 ein Fahrzeug in einem seltenen 200.000 (!)-Kilometer-Dauertest in der Mangel.
Interessanterweise handelte es sich dabei um eine getunte Version, um den VW Golf II Oettinger 100 S. Möglicherweise lag bei der Auswahl des Fahrzeugs die Absicht zu Grunde, zu beweisen, dass ein leistungsgesteigerter Motor bei hoher Laufleistung deutlichen Verschleiß aufweist. Und zwar selbst dann, wenn ein genialer Fachmann Hand an ihn gelegt hatte wie der Altmeister aller Tuner, der Diplomingenieur Gerhard Oettinger.
Der Kandidat: ein Golf II Oettinger 100S
Der Golf II Oettinger 100 S füllte seinerzeit eine Lücke zwischen dem teuren Luxus-Golf Carat mit umfangreicher Ausstattung und 90 PS und dem GTI mit 112 PS. Er basierte auf dem Golf C mit 1,6 Liter-Motor und 75 PS. Oettinger tauschte die serienmäßige Kurbelwelle (77,4 mm Hub) gegen eine geschmiedete aus Chrom-Molybdänstahl (86,4 mm Hub) aus. Nun hatte der Motor einen Hubraum von 1.781 ccm. Dank weiterer routinierter Maßnahmen des Hauses wie geänderter Steuerzeiten der Nockenwelle, größerem Ventilhub und geglätteter Kanäle leistete er 100 PS und fiel vor allem wegen seiner Durchzugskraft in unteren und mittleren Drehzahlbereichen positiv auf. „Zieht man Bilanz“, meinte am 28. März 1984 die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „so drängt sich der Vergleich mit dem Golf GTI geradezu auf“.
Nach fünf Jahren Dauerstress waren noch alle Motorteile fit
Am Ende der fünf lange Jahre währenden „Autozeitung“-Tortur quer durch Europa wurde der Oettinger-Golf 100 S schließlich komplett in alle Einzelteile zerlegt und vermessen. Danach war in Heft 06/89 Erstaunliches zu lesen: „Die Totaldemontage führte es eindrucksvoll vor Augen: Karosserie und Motor zeigten kaum eine Spur von Krankheitssymptomen oder altersbedingten Verschleiß-Erscheinungen.“
Und es sollte noch besser kommen: „Der von Oettinger getunte VW-Motor war die eigentliche Überraschung des Testmarathons über 200.000 km. Auf der gesamten Distanz wurde kein mechanisches Teil ausgetauscht. Und der Motor ist noch immer für viele Kilometer gut. Der Verschleiß (von Zylindern, Kolben und Lagern) lag im Toleranzbereich.“ Außerdem habe der Motor keinen Tropfen Öl jenseits der üblichen Wartungsintervalle konsumiert.
Und der „Methusalem“ sprintete noch wie ein „Neuwagen“... Doch auch nach 200.000 Testkilometern gewährten die Kölner Motorjournalisten dem bravourösen VW Golf Oettinger 100 S nicht etwa das wohlverdiente Gnadenbrot, sondern drängten ihn noch zu einem Beschleunigungswettbewerb mit dem aktuellen Golf II mit 90 PS. Beim Spurt von 60 km/h auf 120 km/h nahm die betagte, getunte Version dem neuen Serienpendant mal eben gut vier Sekunden ab (17,3 Sek statt 21,4 Sek). Zitat: „Einen derartigen Methusalem vor die Messflinte zu kriegen, war übrigens auch für die erfahrenen Zeitnehmer der Redaktion eine Premieren-Veranstaltung...!“