Lizenz zum Löten

Der Maschinenbaustudent Robert Sander wurde 1989 Oettingers Chiptuning-Pionier / Seine Diplomarbeit: Leistungssteigerung beim VW Corrado G 60

Für seine praktische Diplomarbeit über die „Entwicklung eines Bausatzes zur Leistungssteigerung eines Ottomotors“ suchte der Maschinenbaustudent Robert Sander im Jahre 1989 ein geeignetes Unternehmen. Traditionstuner Oettinger hielt zur gleichen Zeit Ausschau nach einem jungen Mitarbeiter, der alle Voraussetzungen für die beginnende Chiptuning-Ära mitbrachte. Und da der heute 50jährige auch noch eine Ausbildung zum Feinmechaniker vorweisen und folglich virtuos mit dem Lötkolben umgehen konnte, fiel die Wahl auch umgehend auf ihn.

„Es handelte sich seinerzeit um den VW Corrado G 60,“ erinnert sich Sander, „“und somit um das erste Oettinger-Projekt, bei dem wir direkt in die Motorsteuerung hinein gehen mussten.“ Denn bis dahin war es bester Tuner-Brauch, Gemisch, Klopfregelung und Zündung über mechanische Änderungen anzupassen. Beim G 60 funktionierte die Ladedruckregelung indes über ein Steuergerät – und das war damals neu.

Behutsame Anhebung der Lader-Drehzahl
„Wir haben uns mit aller gebotenen Achtsamkeit diesem Neuland genähert,“ sagt der Oettinger-Mitarbeiter, „und besorgten uns zunächst vom Werk die Vorgaben, was man diesem G-Lader überhaupt zumuten konnte“. Die behutsame Anhebung der Lader-Drehzahl in Verbindung mit geänderter Nockenwelle, größerem Ladeluftkühler und Ölkühler ergaben unterm Strich 30 PS mehr als in der Serie (160 PS). Und weil es die Friedrichsdorfer Tuner mit der Leistungssteigerung eben nicht übertrieben, war der Lader auch belastbar – ebenso wie Sanders Diplomarbeit.

Das Oettinger-Chiptuning wurde mit dem Audi A 4 1,9 TDI populär
Einen enormen Schub erfuhr das Oettinger-Chiptuning dann Mitte der 90er Jahre mit dem Audi A4, den zunächst ein 1,9 Liter-TDI-Motor mit 90 PS antrieb. Der hatte keine mechanische Dieselpumpe mehr, sondern eine elektronisch geregelte. „Da mussten wir dann auch ins Steuergerät.“ Der überaus populäre Motor wurde unter anderem auch im Golf und im Passat verbaut und leistete nach der Oettinger-Kraftkur elastische 110 PS. Viele Kunden wollten damals aber auch einen T 4-Bulli als Wohnmobil oder mit einer vergleichbar schweren Ausstattung. Diesen Gewichtsanforderungen zeigte sich das Drehmoment des 2,5 TDI Original-Dieselmotors (102 PS) kaum gewachsen. Und so verkauften die VW-Händler die T-4-Diesel von vorn herein mit dem Leistungszuwachs von Oettinger. „Sie schickten uns die ausgebauten Original-Steuergeräte, und so saß ich regelmäßig in meiner Werkstatt, öffnete die Gehäuse und lötete Bauteile aus.“ Die bulligen 130 PS des Fünfzylinder-Diesels bescherten Oettinger jahrelang prächtige Geschäfte.

Ein Segen für das Unternehmen war auch die Einführung des 1,8-Liter Turbo-Ottomotors, der mit seinen 150 PS in unendlich vielen Modellen des VW-Konzerns schon für Fahrspaß sorgte. Richtig ab aber ging die Post erst nach einem Aufenthalt bei Oettinger. In der ersten Tuning-Stufe (nur modifiziertes Steuergerät) leistete der Motor 195 PS; in der zweiten Stufe (zusätzlich größerer Turbolader, angepasste Einspritzanlage, Ladeluftkühler und Stahlträger-Kat mit weniger Gegendruck als beim Original-Keramik-Kat) satte 230 PS. Auch diese beiden Power-Pakete seien absolute Oettinger-Klassiker der 90er Jahre gewesen, erinnert sich der Maschinenbauer.

Heute kein Tuning mehr ohne „Softie“
Gegenüber den Anfangsjahren habe sich an der elektronischen Leistungssteigerung bis heute grundsätzlich nicht viel geändert, sagt der Tuningexperte der ersten Stunde. Motorenabstimmungen werden noch immer überwiegend auf der Straße vollzogen. Jedoch ist alles deutlich komplizierter geworden. Damals mussten bei den Motoren ohne Kat und Partikelfilter keine zehn Kennfelder geändert werden, um mehr Leistung zu bekommen. „Die konnten wir noch selbst ermitteln, die Steuerung war noch recht einfach. Sie regierte aber empfindlich auf mechanische Änderungen. Und das bescherte uns oft wochenlange Kleinarbeit.“ Heute sind es vier mal so viele Kennfelder , allein wegen der Diagnosen und des Abgasverhaltens. „Früher“, so erinnert sich Sander, „ging es mehr um mechanische oder thermodynamische Lösungen.“ Heute sei die Hilfestellung von „Softies“ (Informatikern) wegen der wesentlich komplexeren Steuerungen unbedingt vonnöten.

Der Begriff Chiptuning ist längst überholt Am in Stein gemeißelten und wohl nicht mehr eliminierbaren Begriff „Chiptuning“ wird sich der Maschinenbauer wahrscheinlich reiben, bis er in Rente geht. Die ersten Speicher waren so groß wie Fingerkuppen. Da sei die Bezeichnung noch zutreffend gewesen. „Heutzutage aber wird der Weg über die OBD (On-Board-Diagnose)-Buchse oder direkt über den Prozessor gewählt, um die Bedatung zu ändern. Den inzwischen winzigen Speicherbaustein nimmt niemand mehr aus dem Steuergerät heraus.“

Doch zum Löten kommt Sander tatsächlich auch heute noch immer. „Erst neulich war ein Youngtimer-Kunde hier. Das Steuergerät seines alten Bullis hatte den Geist aufgegeben. Ich musste das neue erst öffnen und dann tunen, ganz so wie damals...“.