Oettinger und Okrasa – ein Leben für die Leistung

Gerhard Oettinger (1920-1997) aus Friedrichsdorf bei Frankfurt am Main war nicht nur ein genialer und weltweit bekannter Diplomingenieur. Ihm wurde nicht nur ein Denkmal als „Vater aller Tuner“ gesetzt. Nein, er neigte auch zu listigem Witz und zu Augenzwinkern. Allein mit der Namensfindung für sein Unternehmen sorgte er für einen Generationen-Schmunzler. Denn die von ihm 1951 gegründete Tuningfirma Okrasa (Abkürzung für „Oettingers kraftfahrttechnische Spezialanstalt“) war bewusst gewählt und wortverwandt mit Okasa, einer seit 1926 bis heute populären Pille zur Stärkung der Manneskraft. Und das machte auch Sinn – verlieh Oettinger doch unzähligen schlaffen Käfer-Motoren der Nachkriegszeit eine legendäre Potenzsteigerung. Was den bis heute ungebrochenen Ruf des Unternehmens begründete... 

Der zweite Sohn einer Unternehmerfamilie (geb. am 28. August 1920 in Offenbach) wuchs in einem sicherlich privilegierten Elternhaus auf. Es lehrte ihn bald, weit über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen, ehrgeizig und selbstbewusst Probleme zu lösen. Ebenso verfolgte er mit enormer Willenskraft die selbstgesteckten Ziele. Das hatte auch wieder mit den Erfahrungen aus seiner Kindheit zu tun. So führte er in bereits in jungen Jahren einen konsequenten Kampf: bei der täglichen 10 Kilometer langen Fahrt mit dem Fahrrad zum Gymnasium schaute er immer wieder auf die Stoppuhr. Mit immer besser werdenden Zeiten besiegte er am Ende sogar erfolgreich seine Kinderlähmung! 

Und so war er auch prädestiniert, im besten Sinne auch zu einem Pionier seiner Zeit zu werden. Oettinger studierte an der TH Darmstadt Maschinenbau (Spezialgebiet: Verbrennungskraftmaschinen) und arbeitete danach in der südhessischen Universitätsstadt bis zum Ende des 2. Weltkrieges an der Staatlichen Materialprüfungsanstalt. 

Der Diplomingenieur entdeckte den „Friseur“ in sich 

Bereits am 21. August 1946 machte er sich mit einem Ingenieurbüro in der Garage seines Elternhauses in Friedrichsdorf selbständig. In der allerersten Aufbauzeit war vor allem sein improvisatorisches Geschick gefragt. So entwickelte Oettinger für den Daimler Benz 170 V eine Traktorentreibstoff-Vergaseranlage. Für die englischen Besatzungstruppen (Control Commission for Germany) wurden nach Kriegsende in Wolfsburg „CCG“-Brezelkäfer produziert. Oettinger ersteigerte Unfallfahrzeuge und beschäftigte sich bereits mit VW-Motoren, noch bevor die ersten „Standard“-Limousinen“ für die Kunden offiziell vom Band liefen. 

Als 1947 in Wiesbaden der Motorsportclub konstituiert wurde, war Gerhard Oettinger eines der Gründungsmitglieder. Der Werkstoffexperte entwickelte Getrieberäder, die den VW fit für den Motorsport machten. Im Herbst 1951 rasten die prominenten Fahrer Richard von Frankenberg, Walter Glöckler, Huschke von Hanstein, Petermax Müller und Hermann Ramelow mit einem Okrasa-Getriebe in ihrem Glöckler-Porsche im Autodrom von Montlhéry (Frankreich) zu neuen Klassenrekorden. Das Auto mit dem sportlich abgestimmten Getriebe wurde anschließend verkauft und gewann dreimal hintereinander die amerikanische Sportwagenmeisterschaft. 

Zwischen Gießen und Fulda liegt der Schottenring, eine der ältesten deutschen Rennstrecken. 1947 wurde dort das erste Rennen nach dem Kriege gestartet. Mit am Start: Karl-Heinz Scheufele, Wiesbadener Clubcollege von Oettinger. Der klagte über Probleme mit dem Motor. Doch das Friedrichsdorfer Genie stellte mit höchster Einfühlung und Kompetenz vor Ort den Dreivergasermotor so optimal ein, dass der BMW 328-Pilot überlegen siegte. Woraufhin er Oettinger spontan den Siegerkranz umhängte und ihn eine Ehrenrunde drehen ließ. 

Um 1948 hatte der Pionier die Vision zum heutigen Tuning

Seine Obsession für den Motorsport führte dazu, dass Oettinger 1948 auch begann, eigene Nockenwellen herzustellen. Und irgendwann in dieser Zeit hatte er dann die bahnbrechende Idee, auch in straßenzugelassene Fahrzeuge Motorsportgene einzupflanzen – das war die allererste Vision von dem, was man heute Tuning nennt! 

Danach ging es zu wie bei der Popcorn-Produktion. Wird der Mais im Topf erhitzt, passiert erst einmal eine Zeit lang gar nichts. Und dann auf einmal geht es Schlag auf Schlag, alle Körner platzen nacheinander auf. Zur 1. Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) 1951 in Frankfurt hatte der gewitzte Diplom-Ingenieur die Idee, nicht nur am Messestand, (den er sich mit dem Erbauer eines umwerfend schönen Alu-Cabrios auf Käferbasis, Friedrich Rometsch, teilte), konservativ mit Prospekten zu werben. Auf dem Freigelände vor den Hallen ließ er Interessenten den ersten getunten Okrasa-Käfer überhaupt auch gleich testen. Das veranlasste immerhin mehr als 20 beeindruckte VW-Besitzer, spontan eine Kraftkur in Friedrichsdorf zu ordern.

Nur der Ordnung halber: der in vielen Medien als erster deutscher Tuner genannte Karl Meier (Kamei) aus Wolfsburg stellte erst zwei Jahre später - auf dem Genfer Automobilsalon 1953 - den als„Tiefensteuer“ bezeichneten ersten Spoiler für den Käfer vor... 

Kurz vor Jahresende besuchte ein Pilot der amerikanischen Fluggesellschaft TWA Oettinger in Friedrichsdorf und nahm voller Enthusiasmus gleich eine komplette Okrasa-TS-Vergaseranlage inklusive Zylinderkopf mit über den großen Teich. Ein anschließender Testbericht in den Magazinen „Hot Rod“ und „Special Volkswagen“ löste eine einzige Begeisterungswelle in den USA aus. Ein großer Teil der richtig potenten 16.000 Okrasa-TSV-Zweivergaseranlagen, die ab 1955 produziert wurden, fand fortan amerikanische Abnehmer. 

„TS“ - die erste Okrasa-Anlage

Der luftgekühlte VW-Vierzylinder-Boxermotor war ab Werk mit seinen 25 PS bei 1.131 ccm (bis 1953) keinesfalls hochgezüchtet. Er galt im Gegenteil bewusst als gedrosselt. Oettinger stimmte also in der ersten Tuning-Phase das Ansaugrohr optimal ab, bearbeitete die Zylinderköpfe und hob die Verdichtung an (7:1 gegenüber 6,6:1 beim Serienmotor). Mehr ging nicht wegen der suboptimalen Benzinqualität in jenen Jahren. Die nun höheren Drehzahlen (von 3.400/min auf knapp über 4.000/min) verlangten auch nach härteren Ventilen. Obgleich ihm von Anfang an eine Zweivergaseranlage vorschwebte, beließ es der Diplom-Ingenieur in der ersten Entwicklungsstufe noch beim serienmäßigen Solex-28-PCI-Vergaser. Er änderte aber die Bedüsung und nutzte einen anderen Naßluftfilter. Der bot eine größere Fläche bei einem geringeren Ansaugwiderstand. 38 PS bei 4.000/min waren das stolze Ergebnis dieser professionellen Eingriffe. Immerhin erzielte der Käfer mit der allerersten, der „TS“ genannten Okrasa-Anlage, schon 125 km/h (statt 115 km/h in der Serie) und beschleunigte in 18,5 (statt 20 Sek) von 0 auf 100 km/h. 

Die Okrasa-Attribute: Drehmoment und Durchzugskraft

Werner Buck war in jenen Jahren Journalist bei „auto, motor und sport“. In Ausgabe 10/1955 beschäftigte sich der Diplom-Ingenieur im allerersten Fahrbericht der Zeitschrift über Oettinger mit einem Okrasa-Brezelkäfer aus dem Jahre1952. Ihn beeindruckte vor allem die Elastizität des mit der „TS“-Anlage getunten Motors und der Durchzug am Berg im 3. Gang. Der letzte Satz seines zweiseitigen Tests: „Und wenn Sie einmal von einem sehr schnellen VW mit geteiltem Heckfenster abgehängt werden, dann muss nicht unbedingt ein Porschemotor unter der Haube stecken – es könnte auch ein Oettinger-VW sein.“ 

So zeichnete sich schon das aufgebrezelte „Erstlingswerk“ Oettingers für VW durch zwei Merkmale aus, die bis zum heutigen Tage zum berühmten Markenzeichen aller späteren Leistungssteigerungs-Maßnahmen wurden: ein spürbarer Gewinn an Drehmoment und beeindruckende Durchzugskraft. Bald kam die Zweivergaseranlage mit doppelten Solex-Fallstromvergasern des Typs 32 PBIC hinzu. Außerdem neue Zylinderköpfe aus Leichtmetall mit größeren Einlassventilen. Jeder Okrasa-Zylinder hatte nun auch einen eigenen Ansaugkanal. Das stolze Ergebnis dieser Ingenieurskunst: Satte 42 PS, bulliges Drehmoment und eine Höchstgeschwindigkeit von fast 135 km/h. Zum Vergleich: selbst ein Ponton-Mercedes 180 (126 km/h) konnte da nicht mithalten! 400 DM kostete das diebische Vergnügen, die obere Mittelklasse mit dem Stern hinter sich zu lassen. 

1955: Die legendäre „TSV“-Okrasa-Anlage für den Käfer mit 70 PS

Doch jedes soeben erreichte große Ziel veranlasste Oettinger nur noch mehr, neue Grenzen auszureizen. Stillstand war für den „Leistungs-Optimierer“ ein empörendes Unwort. 1955 war es dann endlich soweit. „TSV“ hieß die 2. Generation der Okrasa-Anlage. Ihr Herz war eine neuartige Kurbelwelle aus unverwüstlichem Chrom-Molybdänstahl mit angeschmiedeten Gegengewichten und 69,5 mm Hub (Serie: 64 mm). Die Hubzapfen wurden anders anordnet und die Bohrung vergrößert. Der Hubraum des neuen Sportmotors hatte nun 1.300 ccm bzw. 1.400 ccm, „Hubraum ist eben durch nichts zu ersetzen außer durch Hubraum,“ philosophierte Oettinger zeitlebens. 

Unglaubliche 50 PS bzw. 70 PS standen nun im Okrasa-Datenblatt. Mit über 140 km/h Spitze rasten seinerzeit nur wenige Sportwagen schneller über die Autobahn als dieser Elite-Käfer! Zum Vergleich: das „VW-Fußvolk“ begnügte sich seit Anfang 1954 mit 30 PS aus 1.192 ccm und einer Höchstgeschwindigkeit von 110 km/h. Diese technische Meisterleistung war die eigentliche Wiege der Legende, die Oettinger zum renommiertesten aller Käfer-Tuner machte. Die Okrasa-Bausätzen mit der hubverlängerten Kurbelwelle wurden zu einem Exportschlager vor allem in die USA – sehr zum Ruhme des Friedrichsdorfer Unternehmens. 

„auto, motor und sport“: „Die Krönung der VW-Motorveredelung“

„auto, motor und sport“ testete in Heft 22/1956 die „TSV“-Anlage in einem Karmann Ghia. „Schon die Einvergaseranlage bringt durch die Spezial-Zylinderköpfe, die größeren Ansaugventile und ein erweitertes Ansaugrohr erheblich mehr Leistung. Fällt nun durch das Übergehen auf zwei Vergaser auch noch das lange Ansaugrohr fort, so liegt es auf der Hand, dass die Zweivergaseranlage den Motor noch deutlicher verwandelt,“ kombinierte Dipl.Ing. Werner Buck. Und er lag richtig. „So mancher Karmann-Besitzer wird sich ärgern, wenn ihm auf der Autobahn ein Opel Rekord oder ein Ford 15 M davon fährt. Für ihn ist die Okrasa-Anlage genau das Richtige. Die Überlegenheit des so ausgerüsteten Wagens ist eklatant!“ Und einmal in Schwung gekommen, gipfelt der Tester in der Eloge: „Ich stehe nicht an, die Okrasa-Zweivergaseranlage gerade im Karmann Ghia als Krönung der VW-Motorveredelung zu bezeichnen.“ 

Alle Teile wurden bei Oettinger selbst bearbeitet. Ende der 50er Jahre waren 20 Spezialisten im Friedrichsdorfer Unternehmen damit beschäftigt, bis zu 20 Umbauten in der Woche zu realisieren. Die Garantiefälle lagen unter der magischen Ein-Prozent-Quote. Die Motoren des „PS-Zauberers“ genossen den Ruf, ebenso robust zu sein wie die der Serienfahrzeuge, allerdings bei bemerkenswertem Leistungszuwachs. Das ist bis heute so geblieben. 

„Gute Fahrt“: „Dipl. Ing. Oettinger ist der erfolgreichste VW-PS-Züchter“

Ab dem Baujahr 1960 rollte der Käfer mit bemerkenswerten Innovationen vom Band. Winker statt Blinker, vollsynchronisiertes Vierganggetriebe und 34 PS im „Export“, während sich der „Standard“-Fahrer weiterhin dem sanften Schub von 30 PS ausgesetzt sah. Wie nicht anders zu erwarten, war Oettinger dieser Konzern-Weiterentwicklung schon wieder enteilt, um dank seines technischen Prinzips, den Hubraum bis 1,5 Liter zu vergrößern (69,5mm Hub). In der Augustausgabe des Jahres 1963 informierte die VW-Fachzeitschrift „Gute Fahrt“ nicht nur darüber, dass es nun auch die Allgemeine Betriebserlaubnis für die Okrasa-Anlagen gebe, sondern ließ auch noch eine Eloge folgen: „Der zweifellos erfolgreichste Volkswagen-PS-Züchter ist Dipl. Ing. Oettinger aus Friedrichsdorf im Taunus. Er schafft die Mehrleistungen nicht durch okkulte Tricks, sondern durch nüchterne Ingenieurs-Arbeit: durch systematischen Abbau der teils gewollten, teils konstruktionsbedingten Widerstände in den VW-Ansaugwegen.“ Gemeint waren die beiden Vergaser für jede Motorseite, andere Zylinderköpfe mit größeren Ventilen und getrennten Saugkanälen, deren Querschnitt erheblich erweitert wurde. 

„Auto, Motor und Sport“ widmete in Ausgabe 9/1967 Oettinger ganze fünf Seiten, auf denen „die drei interessantesten Anlagen“ vorgestellt wurden. „Mehr Dampf im VW 1600 TSV“ attestierte das Blatt dem auf 1600 ccm umgebauten Oettinger-Motor in einem VW Käfer 1500. Er leistete immerhin 58 PS, bot einen „ungewöhnlich bulligen Anzug im unteren Drehzahlbereich“ und eine Spitze von 150 km/h. Erstaunen bei den übrigen Verkehrsteilnehmern habe man mit solch einem VW hervorrufen können, „der in der Beschleunigung sogar einem BMW 2000 oder 1600 zu schaffen machte“. Der Serien-VW brauchte bis Tempo 100 km/h 22,5 Sek., der getunte Oettinger TSV 13,1 Sek! 

Pauli Toivonen siegt 1964 im Okrasa-VW bei Spa-Sofia-Lüttich

Fünf Käfer mit Oettinger-Motoren starteten 1964 bei der Langstreckenrallye Spa-Sofia-Lüttich über 6.600 Kilometer. Die Initiative dazu ging von skandinavischen Rallyefahrern und Scania-Vabis, dem schwedischen VW-General-Importeur, aus. Die Federation Internationale de l' Automobile (FIA) genehmigte den mit Unterstützung des Volkswagenwerkes gestellten Zulassungsantrag für die Grand Turismo-Klasse. Die Ergebnisliste liest sich beeindruckend: Pauli Toivonen gewann die GT-Klasse bis 1.300 ccm. Und im Gesamtklassement belegten die Okrasa-Rallyefahrzeuge nach 90 Stunden Non-Stop-Hatz über zum großen Teil unbefestigte Straßen die Plätze 7 und 8. Der Vertreter von Scania-Vabis, Levenhagen, sagte bei einem anschließenden Empfang zum Wolfsburger Exportleiter Hinze: „An Ihren VW's ging alles kaputt, bis auf den Motor.“ Für den allerdings zeichnete Diplomingenieur Gerhard Oettinger aus Friedrichsdorf verantwortlich... 

Der „Mach 1“ blieb 860 km/h unterhalb der Schallgeschwindigkeit...

Der phänomenale Lütticher Triumph wiederum animierte im selben Jahr den belgischen VW-Generalimporteur D'leteren Fréres zu einer Käfer-Kleinserie mit Oettinger-Motoren für Sportveranstaltungen und mit Straßenzulassung. Die 140 km/h schnellen VW's wurden euphorisch auf den Namen „Mach 1“ getauft. Als die Nachricht offiziell war, kam es innerhalb von 30 Minuten zu 200 Kaufverträgen! Zusätzlich zu den 50 PS aus Friedrichsdorf erhielt der schnelle Käfer einen negativen Sturz, härtere Stoßdämpfer, serienmäßig montierte Porschefelgen und Goodyear „Grand Prix“-Reifen der Größe 6.25-15. Im Innenraum gefielen Sitz- und Seitenbezüge aus Simili-Kunstleder und ein mattschwarz lackiertes Armaturenbrett mit zwei Zusatzinstrumenten für Drehzahlen und Öltemperatur. Es sollte das Gefühl entstehen, „in einem kleinen Porsche zu fahren“ („auto, motor und sport“). Leider war der „Mach 1“ nur in Belgien zu bekommen, woraufhin die „Welt am Sonntag“ feststellte, dass „die richtigen Volkswagen in Brüssel gebaut werden“. Das war zu viel des Guten. Der belgische VW-Importeur wurde umgehend nach Wolfsburg zum Rapport gebeten. „Volkswagen werden nur in Wolfsburg gebaut!“ konstatierte der gestrenge Vorstandsvorsitzende Heinrich Nordhoff und beendete auf der Stelle das belgische Projekt nach nur 250 gebauten Sportkäfern. Die letzten ausgelieferten „Mach 1“ erzielten daraufhin Schwarzmarktpreise. 

Für den Käfer mit Typ 4-Motor produzierte Oettinger einige Jahre später eine kleine Stückzahl von Okrasa-Aggregaten mit 2,4 Litern Hubraum und bis zu 120 PS. Anfang der 70er Jahre zeigte der Prüfstand bei 2,7 Liter Hubraum, 84 mm Hub, 100 mm Bohrung und nikasilbeschichteten Zylindern sogar 150 PS an. Nur wenige dieser insgesamt 40 in Handarbeit hergestellten Tuning-Kunstwerke fanden sich in Käfern mit Straßenzulassung wieder. 

Oettinger-Käfer direkt vom VW-Händler

1974, als bereits die letzten der fast 15,8 Millionen in Deutschland hergestellten Käfer vom Band krabbelten, legten die VW-Konzern-Oberen ihre traditionelle Zurückhaltung gegenüber optimierten Käfermotoren ab und trafen eine Vereinbarung mit Oettinger. Danach konnten ab jetzt Neuwagen vom Typ 1303 als Sondermodelle mit den Oettinger-Motoren TSV 1800 (70 PS) und TSV 2000 (85 PS) direkt beim VW-Händler bestellt werden. Sie kosteten 10.795 DM und 11.500 DM. Und noch ein letztes Mal sollten aus diesem Anlass die Autotester ins Schwärmen geraten. „Die 85 PS machen den mit Messgeräten und Personen fast 1.100 kg schweren Käfer zu einem lebendigen Gefährt, mit dem man fast an BMW 2002-Zeiten herankommen kann.“ (sport auto, 08/1974). 

Mit Beginn der Golf-Ära kehrten die meisten deutschen Tuner dem VW-Käfer den Rücken. Bei Oettinger blieb er indes nicht nur weiterhin Teil des Portfolios, sondern erlebte Jahre später noch ein unglaubliches Comeback. 1987 pflanzte der hessische Kulttuner sowohl den 1302/1303 als auch den Cabrios Vierzylinder-Wasserboxer-Motoren aus dem VW Bus Caravelle Oettinger des Jahres 1983 (interne Bezeichnung: WBX 4 2100 E/4 Kat) mit 100 PS ein. Er konstruierte dazu neue Motoraufhängungen. Einspritzanlage, Abgaskatalysator, hydraulischer Ventilspielausgleich – solch ein modernes Aggregat hatte zuvor noch keinen Käfer angetrieben. Der Katalysator diente als Vorschalldämpfer. Die Verbindung mit einem Nachschalldämpfer komponierte einen besonders sportlichen Sound. Dabei war der WBX 4-Käfer trotzdem der leiseste in der ganzen Okrasa-Familie. Der Wasserkühler war im Bug untergebracht. Von dieser aufwändigen Bauweise profitierte die Gewichtsverteilung. Wer so unterwegs war, beschleunigte den Okrasa-Käfer in 10,5 Sek von null auf 100 km/h und fuhr bei Bedarf 165 km/h schnell. In Länder mit Tempolimit wurde eine noch schärfere Version mit 2,5 Litern Hubraum und 120 PS geliefert. (VW hatte die Höchstgeschwindigkeit des Käfers ohne Fahrwerksmodifikationen auf 165 km/h begrenzt). In Deutschland konnte auf die Topmotorisierung nur zurückgreifen, wer bei Oettinger zusätzlich das Fahrwerk umbauen und auf Felgen der Größe 7x15“ (ET 16) und eine verstärkte Bremsanlage (Porsche 944-Standard) umrüsten ließ. 

Die Krönung: Oettinger Käfer-Cabriolet mit 190 PS für König Juan Carlos

Doch da ging immer noch was: eines der Highlights auf der IAA 1987 war ein VW-Käfer-Cabriolet mit dem wassergekühlten Sechszylinder-Boxermotor des VW Bus T 3 Carat, den Oettinger für den VW-Konzern zur Serienreife entwickelt hatte. Mit 175 PS erreichte das Einzelstück eine Endgeschwindigkeit von über 200 km/h. Der spanische König Juan Carlos zeigte sich am Stand der hessischen Tuner derart beeindruckt, dass der PS-Papst aus Friedrichsdorf dem Monarchen aus Madrid zwei Jahre später die absolute Käfer-Krönung, ein offenes Show-Car mit nun sogar 190 PS aus einem 3,7 Liter-Motor vor die erlauchten Gemächer des Palacio La Zarzuela stellte...