Der Oettinger Lifestyle

Lange, bevor sich das angloamerikanische Modewort „Lifestyle“ rund um den Globus etablierte, hatte Gerhard Oettinger Anfang der 50er Jahre schon eine Ahnung davon, dass es so einen Lebensstil auch für die Autofahrer geben müsse. 

Und zwar würde es sich um extravagante Serienautos handeln, die neben Alltagstauglichkeit vor allem Drehmoment und Leistung im Überfluss besitzen und allen anderen Fahrzeugen derselben Baureihen haushoch überlegen sind. 

Ob man nun in der Nachkriegszeit, als der Wohlstand gerade laufen lernte, in einem Okrasa Brezelkäfer auf der linken Spur an einem Mercedes Benz 180 Ponton vorbei zog, in den 70er Jahren in einem ungemein schnellen Oettinger Golf 2000 16/E auf Tuchfühlung zu einem Porsche 928 beschleunigte, in den 80ern in einem bärenstarken Oettinger Baby-Benz unterwegs war oder heutzutage in einem gleichermaßen schönen wie scharfen Oettinger Golf GTI mit 290 PS, der das Original in allen sportlichen Bereichen in die Schranken weist – es ist seit über 50 Jahren die Überlegenheit der Oettinger-Kreationen, die sich direkt auf den Fahrer überträgt. 

Richtig preiswert war Oettinger nie 

Die atemberaubend sportlichen wie perfekten Oettinger-Fahrzeuge waren allerdings noch nie richtig preiswert. Für die „Auto, Motor und Sport“ war die Okrasa-Zweivergaseranlage im Karmann Ghia im Jahre 1956 „die Krönung der VW-Motorveredelung“. Sie lieferte 12 PS mehr als die Serie (30 PS) und bestand aus zwei Leichtmetall-Zylinderköpfen, zwei Solex-Fallstromvergasern 32 PBJ, zwei Knecht-Naßluft-Ansaugfiltern, einem Ölfeinstfilter, einem zentral gesteuerten Vergasergestänge, vertikalen Ansaugrohren und diversen Benzin- und Ölleitungen und kostete inklusive Montage 725 DM. Das war immerhin fast ein Zehntel des Preises für einen Neuwagen: 7.500 DM. 

Für die erheblich aufwändigeren Umbauten des letzten Käfers 1303 S im Jahre 1974 zum Zweiliter mit 85 PS (TSV 2000 HS) waren dann schon 2.998 DM fällig - eine Menge Geld angesichts der 7.650 DM, die VW für die Sonderserie des „gelb-schwarzen Renners“ verlangte. Das Motor-Tuning hatte es aber auch in sich: die aufwändige Hubraumvergrößerung um 400 ccm dank einer Oettinger-Spezialität, der oberflächenbehandelten Kurbelwelle aus Chrom-Molybdänstahl mit angeschmiedeten Gegengewichten gehörte dazu, außerdem die Überarbeitung der Brennräume im Zylinderkopf, geschmiedete Kolben oder eine optimierte Beatmung. Für die Zeitschrift „Sport Auto“ war der Preis kein Thema: „Ein Blick in den Motorraum offenbart sofort, dass bei Oettinger sauberste Arbeit geleistet wird.“ 

Richtig teuer aber wurde im Jahre 1981 der Spaß, weltweit einen der ersten 16-Ventiler zu fahren. Denn den hatte kein Geringerer als der Diplom-Ingenieur Gerhard Oettinger aus Friedrichsdorf bei Frankfurt entwickelt. Vier Jahre dauerte das und verschlang die Unsumme von 1,5 Millionen Mark - ein Vermögen für ein mittelständisches Unternehmen in jener Zeit. So kostete denn auch die Umrüstung eines Golf 1 GTI (Listenpreis zur Markteinführung 1976: 13.850 DM) zum 1600 E/16 stolze 7.910 DM. Dafür gab es den neuen 16-V-Zylinderkopf, eine Leichtmetall-Ölwanne mit integriertem Ölhobel, eine verstärkte Kupplung und einen Drehzahlmesser bis 8.000/min. Dazu eine Beschleunigung in 7,5 Sek von Null auf 100 km/h. Der Motor drehte bis zu 7.500 Umdrehungen und verlieh dem Golf einen bis dahin nicht gekannten Schub schon aus niedrigen Drehzahlen. 

Der Jet Set gönnte sich den Oettinger VW-Bus wbx 6

Motortuning a la Oettinger konnte sogar nahezu unerschwinglich sein. Als 1986 der heckangetriebene VW Bus wbx 6 auf den Markt kam, war es der hessische PS-Zauberer, der den wassergekühlten Sechszylinder-Boxermotor anstelle des VW-Konzerns bis zur Serienreife entwickelt hatte. „Eine Ausnahmeerscheinung auf dem Automobilmarkt“, konstatierte die „Auto, Motor und Sport“. Das galt allerdings auch für den Preis. 53.711 DM kostete bereits der VW Bus in der noblen Carat-Ausführung. Für den Oettinger-Lifestyle musste der Jet Set, der sich den Porsche unter den Bussen leisten konnte, noch einmal 32.940 DM hinblättern. Im Preis enthalten waren das 3,2 Liter-“Wunder“-Aggregat mit 165 PS, ein verstärktes Automatikgetriebe, ein Sportfahrwerk und ein größerer Tank. 

1988 kostete der „ganz normale“ Umbau eines Golf II GTI 16V mit Katalysator und 129 PS bei Oettinger 8.676 DM. Dafür bekam man das klassische Tuning, also die größere Spezialkurbelwelle und 200 ccm mehr Hubraum, geschmiedete Spezialkolben, bearbeitete Kanäle und Angleichung der Brennräume. Nun leistete der Oettinger Golf 2000 KAT 156 PS und begeisterte mit enormer Durchzugskraft. 

Die Oettinger-Werte: Alltagstauglichkeit, Drehmoment, Leistung

Solch extremer chirurgischer Aufwand ist im Zeitalter von Bits und Bytes nicht mehr notwendig. Trotzdem kommt es seit den 90er Jahren auch bei den elektronischen Eingriffen in die Motorsteuerung darauf an, die traditionellen Oettinger-Werte nicht nur zu erhalten, sondern sie stets kunstvoll aufeinander abzustimmen - also Alltagstauglichkeit, Drehmoment und Leistung. Da sind sich die Friedrichsdorfer Ingenieure ein Leben lang treu geblieben. Heutzutage nehmen sich die Ausgaben für das Oettinger Engine Power Command-Tuning im Vergleich zu den frühen Jahren der Motorenmodifikation eher dezent aus. Um die Leistung eines Golf VII 2,0 TSI GTI Performance von serienmäßigen 230 PS auf 290 PS zu steigern, berechnet der hessische Edeltuner derzeit 1.940 EUR inklusive Montage. Dafür erhält man wie schon vor 50 Jahren einen ganz besonderen Gegenwert - den Oettinger-Lifestyle!